Ist das Kunstfreiheit, oder kann das weg?

Eine Diskussion auf Instagram (in überarbeiteter Form) 

Quelle
 

"Man kann an diesem Ort alles spielen!" ruft HaJo Wagner laut hinaus, der Prof. Dr. ist und Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände noch hinzu. "Wie wäre es aber in der ersten Spielzeit mit Richard Wagners „Rienzi“ – der Lieblingsoper von Adolf Hitler, mit Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ – der Lieblingsoperette von Adolf Hitler, und mit Eugen d’Alberts Oper „Tiefland“, die durch die Verfilmung von Leni Riefenstahl zweifelhafte Popularität erringen konnte? Man kann an diesem Ort alles spielen! Legen wir doch endlich diese falsch verstandene Ehrfurcht vor der Kongresshalle ab… " Auszug aus dem Artikel "Gelände im Aufbruch #4: Die Ehrfurcht vor der Kongresshalle ablegen" vom 1. Januar 2025 im curt Magazin.

Wie bitte? Was ist das bitte für eine Perspektive? Ist es den Verantwortlichen für die Planung zum Kongresshallenareal bewusst, dass sie sich zu Erfüllungsgehilfen Hitlers machen, indem sie ostentativ und provokativ seine Lieblingsstücke spielen? Es ist nicht zu fassen. Damit wird jegliche feierliche Veranstaltung zur Erinnerungskultur in der Kongresshalle zu einer Farce.

Kann bitte jemand dieses Projekt stoppen und die Verantwortlichen zur Rede stellen? Was sagen die Opfer des NS-Regimes, oder deren Hinterbliebene, zu dieser Haltung, Hitlers Lieblingsstücke provokativ zu zelebrieren? Was sagt die Bundeszentrale für politische Bildung dazu? Was sagt der Zentralrat der Juden dazu? Was sagt unsere Kulturstaatsministerin Claudia Roth dazu?

Die Antwort der Kongresshalle war folgende "Die Nürnberger Nachrichten haben Claudia Roth tatsächlich nach ihrer Meinung zu möglichen Grenzen der Spielplangestaltung in der Kongresshalle befragt (Ausgabe vom 29. Juli 2023): "Ist das ein Ort, an dem Wagner und Operette gespielt werden kann?" Ihre Antwort: "Das war eine heftige, richtige Debatte. Es ist gut, dass man so etwas in einer Demokratie debattiert. Und ich erinnere mich an Gespräche mit Stardirigent Daniel Barenboim und dem Starpianisten Igor Levit. Levit sagte mal über Wagner: Er war ein Antisemit - aber seine Musik begeistert mich. Wagner ist tot, Levit lebt und macht hier Musik, macht sie sich zu eigen - das war der Kern seiner Aussage. Und Barenboim sagte das ganz ähnlich. Die Musik ist geblieben - und ein jüdischer Dirigent und ein jüdischer Pianist dirigieren und interpretieren sie nach ihren Vorstellungen. Ich denke, es ist gut, dass an genau diesen Ort eine Oper kommt, mitten hinein ins NS-Areal. Genau an diesem Ort die Stärke und Lebendigkeit unserer demokratischen Kultur zeigen und zum Klingen bringen. Und damit immer wieder kraftvoll deutlich machen: Der Nationalsozialismus hat verloren, die Demokratie hat gewonnen. Die spannende Frage lautet: Schafft es eine Oper, schafft es Kunst, diese brachiale Dominanz zu brechen? Das ist die Herausforderung. Da müsste eigentlich ein Igor-Levit-Konzert stattfinden, Er würde da spielen, glaube ich."
 
Zu entgegnen ist: Dieser Ansatz setzt voraus, dass wenn man derart mit dem Feuer spielen möchte, die Message des Inszenierten am Schluss dann doch ganz klar gegen rechtes Gedankengut steht. Nur dann - wenn auch ein 16-jähriger Mensch, der vielleicht nicht jede Passage konzentriert mit angehört hat, und vielleicht auch keinen IQ von 100 hat, nach einer Veranstaltung in diesem Areal begreift, dass rechtes Gedankengut ein No-Go ist. Dann wäre es in Ordnung. Diese klare Message ist die Verpflichtung, die wir mit dem Erbe dieses Gebäudes tragen.

Ich sehe diese Ausrichtung und Klarheit in der Argumentation von HaJo Wagner aber leider nicht. Und auch nicht in der von Jens-Daniel Herzog. Hier wird mit dem NS-Relikt nicht sorgsam umgegangen. Das Zitat unserer Staatsministerin Claudia Roth "Die spannende Frage lautet: Schafft es eine Oper, schafft es Kunst, diese brachiale Dominanz zu brechen?" kann in diesem Fall mit einem « Das ist äußerst unwahrscheinlich » beantworten werden. In Anbetracht der Zuspitzung gen Rechts, darf das aber auch keine Frage bleiben, es muss sicher sein. Es sollte sicher sein, dass hier keine zwei Zeilen falsch verstanden werden. Kein Foto einer Ausstellung (die per se rein gar nichts mit der NS-Zeit zu tun haben muss) dennoch falsch mit dem NS-Gedankengut konnotiert wird. Das ist die Gefahr. Nachdem bekanntgegeben wurde, dass die Oper nun auf Dauer im Innenhof der Kongresshalle sein wird, wie viele Kommentare wurden alleine auf Instagram abgegeben, wie "Wieso gibt es dann da keine Kioske und Spielpätze? Es sollte da der Christkindlesmarkt stattfinden " … Ist es den Verantwortlichen der Kongresshallenplanung bewusst, was hierbei geschieht? 

Den Menschen wird kein klarer Halt geboten, wie man das jetzt wahrnehmen soll. Es wird keine klare Haltung zu diesem Ort signaisiert. Das bräuchte es aber. Dringend.

Auch die Direktive im Sinne dessen, Menschen den Schrecken zu nehmen, wenn sie ihre Hochzeitsfotos in der Kongresshalle machen lassen... Das ist doch eine komplette Fehlleitung der Bürger. Menschen sollte diese Peinlichkeit erspart werden, an Stelle davon, sie da rein zu dirigieren, weil die Verantwortlichen möchten, dass das Gelände als cool wahrgenommen wird. Den Menschen werden durch das Konzept die Alarmsignale geradezu abtrainiert, an Stelle davon feinfühlig die Ausprägungen der Gewalt und des Größenwahnsinns der NS-Diktatur wahrzunehmen und sich davon zu distanzieren.

Das Konzept ist auf psychologischer Ebene in unseren Augen ein großer Fehler. Unabhängige Fachwissenschaftler*in sollten das prüfen. Die Aneignung (wie die Verantwortlichen ihr Vorhaben selbst bezeichnen) von Immobilien, Gegenständen, ja, sogar Körperteilen (wie dem Schrumpfkopf!), ... von besiegten Gegnern ist seit es Menschen gibt, praktiziert worden. Da ist überhaupt NICHTS Neues daran. Es ist ein zutiefst verhaltensbiologisch verankertes Bedürfnis seine Überlegenheit nach einem Gewaltübergriff zu demonstrieren. Das geht aber nur im Affekt, in direkter Folge – und ist auch dann höchst zweifelbar und zum Teil auch gegen das Gesetz.

Sind wir denn nicht schon viel weiter gewesen?! 

Wir haben nach Beendigung des Krieges statt eines wilden Tanzes in den Uniformen der NS-Schergen etwas viel Besseres von unseren aufmerksamen, intelligenten und weitblickenden Zeitzeugen erhalten: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie sind am 10. Dezember 1948 als FOLGE der NS-Gräueltaten definiert worden. Das ist das wirkliche Erbe, das wir hoch halten sollten. Daran sollten wir alle anknüpfen an Stelle davon in archaische Dominanzgesten zu verfallen. Die Menschenrechte schreibt sich die Stadt auf die Fahnen und tut doch viel zu wenig dafür sie mitten ins Leben zu rufen. Dieses Gefühl der Hoffnung, dass es besser wird, brauchen wir alle. Darin sind wir auch mit dem Ansatz von Claudia Roth auf einer Linie. Aber der Weg dahin sollte ein wirklich anderer sein.

Erschütternde Statistiken über das Wissen über den Holocaust
Quelle

« Etwa sechs Millionen Jüdinnen und Juden wurden vom nationalsozialistischen Deutschland systematisch verfolgt und ermordet. Doch rund 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schwindet das Wissen um den Holocaust und die Schoah zusehends - vor allem bei der jüngeren Generation. Zu diesem Schluss kommt eine Umfrage der Jewish Claims Conference. In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen gaben bei der Befragung in Deutschland etwa 40 Prozent an, nicht gewusst zu haben, dass etwa sechs Millionen Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. 15 Prozent glaubten, es seien weniger als zwei Millionen gewesen. Zwei Prozent aller in der Bundesrepublik befragten Bürgerinnen und Bürger waren der Auffassung, der Holocaust habe überhaupt nicht stattgefunden. » 

Wenn die Verantwortlichen der Kongresshalle in Ihren Umfragen wie hier oder hier die Besucher*innen geradezu von der historischen Bedeutung des Gebäudes ablenken, nur um sie für die grüne Fassade der neuen Oper zu begeistern, sorgen sie doch geradezu dafür, dass dieser Missstand sich noch verstärkt.

... 

Haben die Verantwortlichen mal eine/n unabhängige/n Pädagog*in, Psycholog*in oder Soziolog*in gefragt, was in der Wahrnehmung bei Künstler*innen und Bobachter*innen bei einer solchen Veranstaltung geschieht? Aussagen wie « Ach, Hitler war doch gar nicht so schlecht! Hier kann man echt cool dancen / feiern / Kultur genießen. Und Hitler verstand echt etwas von Kultur… Respekt! Und außerdem ist jetzt alles so schön grün… » werden dadurch wahrscheinlicher… Die politische Rechte hat genau wegen solcher Vermischungen freien Raum um weit über das erträgliche Maß zu wachsen. Wenn uns die Demokratie wichtig ist, sollte das verhindert werden.

Der Größenwahn, der in dieser Kongresshalle steckt, sollte entlarvt und gestoppt werden, an Stelle davon dass er in die nächste Generation überschwappt. In unseren Augen ist es ein elementarer Fehler, in dieses Projekt über 200 Millionen Euro an Fördergeldern zu stecken. Hier ist nach meinem Empfinden, wie bei der documenta fifteen, die Kunstfreiheit überschritten.
 

Statements

Die Diskussion um die Planung

Die Geschichte um die Diskussion zur Planung auf dem Areal der Kongresshalle ist lang und desillusionierend. In vielen Jahren des Ringens um ein Ändern der Pläne haben die meisten Kontrahenten resigniert. Dennoch geben wir nicht auf.  ... 

Die Quadratur des Kreises

Was die Stadt Nürnberg aktuell versucht, ist wie die Quadratur des Kreises. Es wird behauptet, dass eine künstlerisch-kulturelle Nutzung automatisch einen Gegenpol zur NS-Diktatur bildet und damit alles gut sei. Das allerdings erscheint uns wie ein sich immer wieder wiederholendes Mantra. Ein Zauberspruch, der nicht gelingen kann. ...

Die vorgespielte Ausweglosigkeit

Luftline keinen Kilometer von der Kongresshalle entfernt befindet sich ein sehr großes freies Gelände, das zeitgleich beplant wurde: Lichtenreuth. Da wäre Platz für Kunst und Kultur gewesen. Den Kulturschaffenden wird aber eine Ausweglosigkeit vorgespielt. ...

Ist das Kunstfreiheit, oder kann das weg?

"Man kann an diesem Ort alles spielen!" ruft HaJo Wagner laut hinaus, der Prof. Dr. ist und Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände. "Wie wäre es aber in der ersten Spielzeit mit Richard Wagners „Rienzi“ – der Lieblingsoper von Adolf Hitler, mit Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ – der Lieblingsoperette von Adolf Hitler, und mit ... 

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