Initiative gegen die Banalisierung des Bösen

Die Stadt Nürnberg versucht an der Kongresshalle in Nürnberg mit Kultur der NS-Unkultur entgegenzutreten. Eine demokratische Aneignung ist das erklärte Ziel. Ein umfangreiches Kulturareal soll da entstehen. Man spricht von der größten Kulturbaustelle Europas und lässt sich feiern. 300 Millionen Euro sollen alleine in die Baumaßnahmen des Kulturareals fließen (und das ist noch längst nicht alles, was in diesem Zusammenhang notwendig sein wird). Mehr als 70 % des Finanzierungsbedarfs wird aus Fördermitteln abgeschöpft. Geld, das hier in Saus und Braus ausgegeben wird und anderen Kultureinrichtungen massiv fehlen wird. Es gibt diesen Kulturnotstand überall. Aber hier bedient man sich, als gäbe es kein Morgen. Lösungsorientiert und solidarisch finden wir diesen Umgang nicht. Einen Grund zu feiern sehen wir vor allem aber desshalb nicht, weil das Projekt an sich höchst anzweifelbar ist. Es sollte aus einem ganz anderen Grund gar nicht erst realisiert werden.

Es wird geplant, dass in der Kongresshalle ein Kulturraum entsteht, der für die Oper, künstlerisches Arbeiten, zum Tanzen, Feiern und ein allgemeines Kulturerleben da sein soll. Die Kultur soll "damit immer wieder kraftvoll deutlich machen: Der Nationalsozialismus hat verloren, die Demokratie hat gewonnen." So die frühere Staatsministerin Claudia Roth in den Nürnberger Nachrichten vom 29. Juli 2023. Es könnte ganz verlockend sein sich darauf einzulassen! Stimmt. Sieht man aber genauer hin, ist diesem positiven Bild, das da gezeichnet wird, etwas Erschütterndes entgegenzusetzen.

So einfach ist es leider nicht. Wir sind weit davon entfernt behaupten zu können, dass die Demokratie über den Nationalsozialismus gesiegt hätte. Im Gegenteil. Die Ideologie des Nationalsozialismus setzt sich mit seiner radikalen Haltung wieder mehr und mehr in unserer Gesellschaft fest. Dieser Wahrheit müssen wir leider ins Gesicht sehen. Nur so sind wir handlungsfähig.

Die Aneignung – wie die Verantwortlichen ihr Vorhaben selbst bezeichnen – von Immobilien, Gegenständen, ja, sogar Körperteilen (wie dem Schrumpfkopf!), ... von besiegten Gegnern ist seit es Menschen gibt, praktiziert worden. Da ist überhaupt NICHTS Neues daran. Es ist ein zutiefst verhaltensbiologisch verankertes Bedürfnis seine Überlegenheit nach einem Gewaltübergriff zu demonstrieren. Das geht aber nur im Affekt, in direkter Folge –  und ist auch dann höchst anzweifelbar.
 

Sind wir denn nicht schon viel weiter gewesen?! 
 

Haben wir nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, statt eines wilden Tanzes in den Uniformen der NS-Schergen, nicht etwas viel Besseres von unseren aufmerksamen, intelligenten und weitblickenden Zeitzeugen erhalten? 


Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 


Sie ist am 10. Dezember 1948 als Folge der NS-Gräueltaten definiert worden. DAS ist das wirkliche Erbe, das wir hoch halten sollten. Daran sollten wir anknüpfen an Stelle davon in archaische Dominanzgesten zu verfallen. Die Menschenrechte schreibt sich die Stadt Nürnberg auf die Fahnen und tut doch viel zu wenig dafür sie mitten ins Leben zu rufen. Dieses Gefühl der Hoffnung, dass es besser wird, brauchen wir alle. Darin sind wir auch mit dem Ansatz von Claudia Roth auf einer Linie. Aber der Weg dahin sollte ein wirklich anderer sein.

Die Bedeutung der Kongresshalle

Die Kongresshalle in Nürnberg ist nicht irgendein Nazi-Bau. Keine x-beliebige Kaserne und auch kein x-beliebiger Bunker. "Sie ist das größte noch bestehende Relikt nationalsozialistischer Herrschaftsarchitektur und nach Prora und dem Flughafen Berlin-Tempelhof der drittgrößte erhaltene nationalsozialistische Monumentalbau überhaupt. Sie sollte laut Grundsteinlegungsurkunde „auf Jahrtausende hinaus dem Parteikongreß der NSDAP eine Stätte […] bieten“ und als Aufbewahrungsort der Reichskleinodien dienen." (Quelle: Wikipedia). Hier hat Hitler seinen Größenwahn maximal ins Bauwerk geschrieben. Die heutige Bedeutung als Mahnmal reicht weit über die kommunale Ebene (die darüber entscheidet!) hinaus, und ist national und auch weltweit wichtig. „… an diesem Ort kann man wie an keinem anderen in der ganzen Bundesrepublik den Geist, die Ideologie – auch den Ungeist natürlich – des Nationalsozialismus kennenlernen.“
 (Dr. W. Nerdinger), zitiert von Dr. Barbara Kreis (Quelle: curt Magazin vom 1. Oktober 2024). Da gibt es etwas Komplexes im Umgang mit dieser Architektur, das nicht einfach so übergangen werden darf.

 

Wozu führt die aktuelle Planung?

Alles was hier aktuell in Planung ist, eingebracht, verändert oder zum Leben erweckt werden soll, lässt gleichzeitig das Authentische des Gebäudes schwinden. Und jede Kultur, die da stattfinden soll, ist gleichzeitig in einen permanenten Bezug zur NS-Diktatur gefesselt. 

Die Verantwortlichen für dieses Gelände meinen aber auch, dass dieser Bezug zur NS-Zeit gerne überspielt und ignoriert werden könne. Wir fragen uns, ob damit nicht die Platzierung der Kultur inmitten dieses NS-Megalithen ad absurdum geführt wird. Wie sollen Besuchende diese konstruierte Haltung begreifen? Ist man jetzt gegen den Faschismus, oder übergeht man dieses Thema schlichtweg und benutzt die faschistischen Räume jetzt neuerdings als fantastische Räume zum eigenen Vorteil? Große, lichtdurchflutete Räume mit loftartigen Backsteinwänden werden bald zur Nutzung bereitstehen, so werden sie einem präsentiert. Das ist schon ziemlich verführerisch. Aber eben auch ver-führerisch und nicht in der Tiefe durchdacht. Die Nutzung ist ohne Anbindung an das Gewissen. Das ist das, was die Entscheider der Stadt Nürnberg damit vorleben und fördern. Eine Gewissenlosigkeit und Geschichtsvergessenheit.

Die Architektur der Kongresshalle ist nichts, was wir zelebrieren sollten – sie ist errichtet worden um dem größten Verbrecher der Menschheit zu huldigen. Die Architektur steckt voller Größenwahn und Brutalität. 

Die von den Verantwortlichen des Areals im August 2025 veröffentlichten euphemistischen Filmaufnahmen der unmenschlich proportionierten Architektur zeugen von keiner guten Haltung. Der Architekt Albert Speer und seine Mitarchitekten waren lange Zeit zurecht verpönt. Eine ausgesprochen gute Darstellung der Kongresshalle und des Reichsparteitagsgeländes gelang 1961 Alexander Kluge und Peter Schamoni in dem Film „Brutalität in Stein“. Sehr sehenswert. So fühlt sich künstlerische Aufarbeitung richtig an. Wieso konnte man diese Grundhaltung nicht beibehalten? 

Heute geschieht durch die Entscheidungen der 2. Bürgermeisterin von Nürnberg, Prof. Dr. Julia Lehner, das genaue Gegenteil. Der Ort des Grauens wird jetzt als erstrebenswert dargestellt. Hell, warm, grün und allgemein salonfähig soll er sein! Ihr Wunsch ist es, dass Betrachtende dem Ort zugewandt sind. Besuchende sollen gar keine Alarmsignale mehr empfinden. Der Mensch wird dabei in ein psychisches Muster gelenkt, das nicht reflektiert, sondern banal an der Oberfläche wahrnimmt. « Hach, sind das schöne Arkaden! » Der Mensch wird geradezu genötigt den Schönrednereien auf den Leim zu gehen.

Ist dieses Konzept in irgend einer Form sinnvoll oder wünschenswert? Ist das Konzept förderlich für die Demokratie, oder schwächt sie das sogar? Hilft die geplante Nutzung dabei Rechtsextremismus zu verhindern, oder leitet sie Menschen geradezu fehl?

Das lebendige Grün der geplanten Opern-Fassade – das an sich sehr schön sein könnte – ruiniert den bildungspolitisch wichtigen Eindruck der Betroffenheit. Es verharmlost und banalisiert das Böse des NS-Gebäudes. Das erlebte Vergnügen beim Tanzen steht im kompletten Gegensatz zu dem Erschüttertsein, das eigentlich in diesen Räumen stattfinden sollte. Das Feiern verharmlost und banalisiert das Böse in diesen Räumen. Es verleitet Menschen sich in einem Umfeld wohl zu fühlen, von dem man sich besser distanzieren sollte. Und es kann im schlimmsten Fall sogar zu einer Verherrlichung des NS-Gebäudes kommen, weil die Kultur da so brilliant / mega ist ... 

Und am Schluss macht – und das ist das Fatale – die ganze gut gemeinte Inszenierung es wahrscheinlicher, dass man wie auf Sylt, ganz banal, Nazi-Parolen grölt, ohne groß darüber nachzudenken. Dass man das Kreuzchen auf dem Wahlzettel vielleicht doch rechts außen macht... Weil durch die gezielt gewünschte Coolness, die das Areal ausstrahlen soll, die Klarheit in der Wahrnehmung der Besuchenden verloren geht. 

Am Ende macht die große Kunst im Mahnmal vor allem eines: Sie banalisiert und leitet fehl. 

Und ja, natürlich braucht es diesen Platz zum Kulturgenießen, feiern, tanzen, ... unbedingt! Aber doch wirklich nicht an diesem Ort.

Wenn die Verantwortlichen ab und zu dazwischen etwas zur Erinnerungskultur anbieten, wird es nicht ausreichen. Der zweiten Bürgermeisterin, Prof. Dr. Julia Lehner, scheint es sogar egal zu sein, wenn die Bedeutung des Ortes verloren geht, siehe Interview vom 16. November 2024 in den Nürnberger Nachrichten "... Sollte kein Bezug erkennbar sein, wäre dies ja auch ein Statement.".


Es könnte einem egal sein. Ist es aber nicht.

Die Kongresshalle und die Demokratie

Eine Demokratie aufzubauen ist harte Arbeit. Sie zu erhalten ebenso.  

Wenn die Verantwortlichen für die Kongresshalle der Meinung sind, dass jede Zeit ihren eigenen Umgang mit den Relikten der NS-Zeit finden muss, dann gibt es HEUTE doch gar keine andere Wahl, als den Weg der politischen Bildung zu verfolgen. Und zwar nicht verschult, stocksteif zum Auswendiglernen. Es braucht reale Anknüpfungspunkte um die innere Vorstellungkraft zu wecken und Gedanken vorzuebnen, die eben nicht die Gewalt verherrlichen. Das Wissen um die Gräueltaten der NS-Zeit schwindet. Gerade in der jungen Generation. Und die letzten verbliebenen Zeitzeugen werden weniger. Da ist es um so wichtiger das Mahnmal der Kongresshalle erlebbar zu machen.
 

UNSER STANDPUNKT

Um eine klare Kommunikation gegen Rechtsextremismus zu sichern, ist es notwendig die einziehende Kunst und Kultur auf das Thema Gewalt, Menschen- und Völkerrechte zu fokussieren. Erst dann kann es gelingen.
 

Wenn selbst die Verantwortlichen für dieses Areal eine höchst befremdliche Haltung haben – was soll da Sinnvolles entstehen?


"Man kann an diesem Ort alles spielen!" ruft HaJo Wagner laut hinaus, der Prof. Dr. ist, und Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände. "... Wie wäre es aber in der ersten Spielzeit mit Richard Wagners „Rienzi“ – der Lieblingsoper von Adolf Hitler, mit Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ – der Lieblingsoperette von Adolf Hitler, und mit Eugen d’Alberts Oper „Tiefland“, die durch die Verfilmung von Leni Riefenstahl zweifelhafte Popularität erringen konnte? Man kann an diesem Ort alles spielen! Legen wir doch endlich diese falsch verstandene Ehrfurcht vor der Kongresshalle ab… » (Quelle: curt Magazin vom 1. Januar 2025)

Mit dieser ostentativ provokanten Haltung, mit dieser Hitler-Koketterie, fällt – noch bevor auch nur ein Stück wirklich gespielt wurde – der letzte Vorgang. Es offenbart sich der vermeintliche Siegszug der Demokratie als etwas ganz Anderes: ein Überschwappen des Größenwahns in unsere Generation. Das Konzept für das Kongresshallenareal ist keineswegs demokratiefördernd, oder ein klar erkennbares Zeichen gegen den Rechtsextremismus. Das Konzept ist maximal verantwortungslos, geschmacklos und zeugt von einem nicht sensiblen Umgang mit den NS-Opfern. Das Thema mit der falsch verstandenen "Erfurcht" möchte im Übrigen auch erörtert werden. Wir finden diese Aussage nämlich höchst befremdlich. Falsch verstanden hat in unseren Augen vor allem Prof. Dr. HaJo Wagner etwas. Menschen, die sich wie wir, gegen die geplante Transformation der Kongresshalle einsetzen, haben keine « Ehrfurcht » vor diesem Gebäude. Das ist wild zusammenkonstruiert und stimmt einfach nicht. Wir würdigen Hitlers Relikte nicht. Im Gegenteil. Wir möchten, dass seine Verbrechen sichtbar bleiben, damit nicht Ähnliches wieder geschieht. Es muss kein Skater gegen den Faschismus anrollen. Das ist crazy. Klar kann er gerne skaten. Aber es ist keine echte Kontra-Haltung gegen den Faschismus, wenn zeitgleich kein Faschist dagegen hält. Es ist eine selbstdarstellende Attitüde, ohne dass diese Person etwas befürchten muss. Es macht Spaß und das ist auch gut so. Die Inszenierung, wenn jemand demonstrativ um die Kongresshalle seine Freiheit auslebt, macht die Welt aber um keinen Deut besser. Dieser Irrglaube hat seine Anfänge bereits in den 90er Jahren gehabt.

Es hat sich bis heute niemand von der Stadtverwaltung Nürnberg öffentlich zu dieser Haltung von Prof. Dr. HaJo Wagner geäußert. Wir glauben nicht, dass da alle seiner Meinung sind. Aber das Thema wird totgeschwiegen um ja keine schlechte Publicity zu erhalten. Einen Skandal will man um jeden Preis vermeiden. Das ist unsere Interpretation davon. 

Zone of Interest – eine Parallele zu dem Film

Wer den Film "Zone of Interest" gesehen hat, kann sich überlegen, ob es nicht eine Parallele zu diesem Szenario in der Kongresshalle gibt. Da möchte sich jemand unbedingt eine heile Welt aufbauen und blendet alles aus, was nicht in dieses Bild passt. In unmittelbarer Nähe geschehen massive Verbrechen, millionenfach, aber der neu angelegte Garten ist ja so schön, und er wird noch schöner. Endlich hat dieser Mensch das erreicht, was er schon immer haben wollte und er wird es sich auf gar keinem Fall nehmen lassen. Die grüne Fassade der Oper, die inmitten des martialischen NS-Gebäudes entstehen wird. Sie ist aus einer ähnlichen Haltung entstanden. Es geschehen natürlich aktuell keine massiven Verbrechen in unmittelbarer Nähe. Aber dieser Ort spricht davon als Mahnmal. Er sollte es zumindest. Die maximal befremdliche Ausstrahlung des Kongresshallentorsos wird durch die Transformation, das Ignorieren der geschichtlichen Zusammenhänge bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein aus den Fehlern der Geschichte Lernen wird dadurch verhindert. Hier soll eitel Sonnenschein herrschen. Da ist jemand, der die Wahrheit nicht an sich heran lassen möchte und stattdessen alles dafür tut um sich in einer künstlichen heilen Welt zu verschanzen.

Aufwachen bitte! Auch wenn die NS-Zeit vorbei ist, ist doch längst das radikale Gedankengut nicht verschwunden. Im Gegenteil. Die AfD wird immer stärker. Sie steht vor der Tür und wartet nur darauf die Entscheidungshoheit zu gewinnen. Was geschieht dann mit diesem Ort? Hat die Stadt Nürnberg einen Notfallplan für ein solches Szenario ausgearbeitet? Oder verharrt sie weiter naiv in ihrer Verdrängungsposition? Die heile Welt, die hier inszeniert wird, existiert so nicht und wir täten alle gut daran der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Wer möchte zwischen unzähligen Rechtsradikalen in der Oper sitzen? Kontrollieren oder verhindern lassen, wird sich das nicht. Es wird kein Eingangsverbot für politisch Rechte geben. Sie fallen heute auch noch nicht mal mehr durch ihre Kleidung auf. Perlenkette, weißes Hemd oder Bluse und Jeans trägt die politisch Rechte heute. Erbaut die Stadt Nürnberg die neue Oper blinden Auges für die erstarkenden Rechten und macht sich so unbeabsichtigt zum Erfüllungsgehilfen Hitlers? Sollten für so ein Projekt 300 Millionen Euro – die zu 70 % aus Finanzierungsmitteln geschöpft werden – ausgegeben werden? 

Wir sehen die Transformation, die hier in Windeseile durchgezogen wird, als höchst gefährlich für unsere Gesellschaft an. Der tatsächliche Ausgangspunkt für die aktuelle Planung / Realisierung ist das Finanzierungsspiel, das sich die Verantwortlichen haben einfallen lassen. Sich gegenseitig unterstützende Nöte der Oper, der regionalen Kunst- und Kulturszene und der Denkmalpflege an der Kongresshalle wurden miteinander verzahnt und irgend jemand muss wohl auch geglaubt haben, dieses Konstrukt sei eine Meisterleistung. Wir denken das nicht. Weil ja trotzdem die Teile des Ganzen keineswegs zueinander passen. 

 

Welchen Landwirt halten Sie für den Besseren: Denjenigen, der seine Entscheidungen vornehmlich nach Gelegenheiten des Födermittelkataloges trifft – oder denjenigen, der schaut, dass sein Boden auch für die Folgegenerationen ein guter ist?

Hannah Arendt und die Banalität des Bösen

Vielleicht hat jemand die Worte von Hannah Arendt gelesen, die sie nach dem Prozess von 1961 dem Kriegsverbrecher Adolf Eichmann zugeschrieben hat? Sie hat durch ihre Beobachtungen realisiert, dass Menschen gar nicht intrinsisch böse sein müssen – keine Monstren, wie man sie sich aus dem Horrorfilm vorstellt – um massiv Böses zu tun. Es reicht aus, wenn ihre Haltung von Banalität geprägt ist. Eine erschütternde Erkenntnis. Es reicht, wenn man nicht in der Tiefe wahrnimmt, sich der Realität verschließt, sich dem System zu 100 Prozent zur Verfügung stellt. Keine Verantwortung in sich selbst verspürt, « nur » tut, was einem aufgetragen wurde … Natürlich darf man daraus nicht den Umkehrschluss ziehen, dass jeder, der sein Leben in Banalität verbringt automatisch zum Massenmörder wird. Anders: die Banalität vieler Menschen KANN, wenn die Parameter so umschwenken, dass wieder ein Diktator an die Macht kommt, mit Leichtigkeit dazu instrumentalisiert werden massiv Böses tuen zu lassen. Und zwar von erschreckend vielen Menschen, die selbst von sich glauben die Guten zu sein.

Ist es nicht unsere Aufgabe die blitzklaren Beobachtungen Hannah Arendts in der Tiefe zu verstehen und entsprechende Konsequenzen für unsere Gesellschaft zu ziehen?

Das Gegenteil geschieht vor unseren Augen. Uns wird durch die Verantwortlichen zur Kongresshalle eine von Banalität geprägte Haltung vorgelebt. Im Detail: ..., dass sich selbst etwas vorzumachen und schönzureden okay ist, ..., dass an der Oberfläche wahrzunehmen okay ist, ..., dass das Ausblenden von unangenehmen Wahrheiten einen voran bringt, ..., dass den eigenen Vorteil über die gesellschaftliche, historische Bedeutung zu stellen gut ist, ..., dass funktionieren im System das ist, was einem den eigenen Weg erleichtert, ..., dass Verantwortung nicht jeder Mensch im Einzelnen trägt, sondern man sich jederzeit heraus nehmen kann, weil man ja nur seinen Job tut, oder alle anderen es ja auch tun, ..., dass das Gewissen nicht als Mitentscheider gesehen wird, sondern lieber versperrt wird. Stattdessen wird eitel Sonnenschein in einer Scheinwelt zelebriert, die früher oder später ziemlich wahrscheinlich implodieren wird. Kaum jemand nimmt noch Alarmsignale wahr inmitten dieses massiven NS-Relikes. Kaum jemand spürt in der Tiefe was durch die forcierte Transformation geschieht. Wer sich gegen das Projekt stellt, wird ausgegrenzt. Das ist für alle spürbar, also geht man nicht raus aus seiner Komfortzone und macht mit im Mainstream. 

All das sind Dinge, die im Hier und Jetzt beobachtbar sind und auch die Zukunft prägen werden – wenn die Weichen nicht neu gestellt werden. Ähnliche Worte haben die Gesellschaft damals geprägt, als sich kaum jemand dem NS-Regime in den Weg gestellt hat. Diese Parallele ist das eigentlich Erschütternde. Dachten, hofften wir nicht alle, dass uns das nicht mehr geschehen könnte? Die sehr gefährlich werden könnende Banalität im Menschen, die Hannah Arendt so klar beschrieben hat, wird durch das Handeln und Vorleben der Veranwortlichen für dieses Areal geradezu gefördert. Es sollte aber viel mehr entlarvt und gestoppt werden. Sie bewirkt, dass die Banalität in Menschen mehr und mehr manifest wird. Die wirklichkeitsverweigernde Planung der Stadt Nürnberg an der Kongresshalle wird fraglos angenommen, weil man ja einen Vorteil daraus ziehen kann. Da ist vielen dann jede Ausrede recht, die einem die Verantwortlichen in die Hände drücken. « Endlich Kultur in dieser Stadt! Hach, wird das schön! Und diese mondänen Arkaden! » Kaum jemand fragt noch, ob das die richtige Lösung ist. Kaum jemand durchblickt das Finanzierungsspiel. Kaum jemand sieht in der Tiefe hin, was es mit einer Gesellschaft macht, wenn von der Politik eine solche Blindheit und Geschichtsvergessenheit gefördert wird. Ja, es soll die Erinnerungskultur hoch gehalten werden, aber immer nur mal kurz dazwischen. Das Eigentliche soll die Oper sein, die freie Kunst. Umgeben und inmitten des brutalen nationalsozialistischen Megalithen, der ja neuerdings als schön wahrgenommen werden soll. Was für eine crazy Wahrnehmung ist das bitte? Sollten wir es nicht besser wissen?
 

Dieses Projekt hätte vor Langem schon gestoppt und neu sortiert werden sollen. Mittlerweile ist es dafür zu spät. Wir dokumentieren und kommentieren weiter.

Was sagt der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer zu der Transformation auf dem Areal der Kongresshalle?

Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat das Konzept für die Erinnerungskultur von Claudia Roth offiziell als gescheitert erklärt. Weil das bisherige Konzept den Holocaust verharmlosen würde, durch das gleichzeitige Benennen der Kolonialverbrechen. Sein für den Herbst 2025 avisiertes neues Gedenkstättenkonzept wird jetzt schon kontrovers diskutiert. Jörg Biesler vom Deutschlandfunk interviewte dazu am 29. Juli 2025 den Historiker Jürgen Zimmerer „Erinnerungspolitik nicht verordnen“ von der Universität Hamburg. Er "... kritisiert die Ideen Weimers. Denn der Kulturstaatsminister komme mit seinen Vorschlägen der AfD weit entgegen. Die Partei agitiere gegen die Aufarbeitung des kolonialen Erbes, sie wolle vielmehr die positiven Seiten des Kolonialismus hervorheben. Weimer bestätige diese Position."
 

Unsere Sichtweise 

Verharmlost werden sollten in der Tat die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten nicht. Wir glauben aber auch nicht, dass dies durch die gleichzeitige Benennung der Kolonialverbrechen zwangsläufig geschieht. Ist es denn nicht so, dass die Nationalsozialisten als logische Folge auf die Kolonialzeit erst entstanden sind? Die Rassengesetze, das Gefühl die Deutschen seien etwas Besseres, ... sind doch dieser Zeit entsprungen. Die Grundlagen für diese Überheblichkeit hat man doch aus dem kolonialen Gedankengut geschöpft und sich damit selbst legitimiert andere Menschen und Völker zu morden. Als wäre es eine zwangsläufige Notwendigkeit. Diesen Zusammenhang zwischen der NS-Zeit und der Kolonialzeit würden wir auf keinem Fall außer Acht lassen. Er ist zum Verstehen des gesellschaftlichen Selbstverständnisses wichtig diesen historischen Zusammenhang blitzklar stehen zu lassen. Die Singularität des Holocausts wird dadurch keineswegs verharmlost. Es wird dadurch, in einer gewissen Hinsicht, erklärt, wie es dazu kommen konnte. 

Was aber tatsächlich verharmlosend wirkt, ist eine Transformation wie die, die aktuell auf dem Areal der Kongresshalle in Nürnberg stattfindet. Wenn es dem neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer wirklich darum geht den Holocaust nicht verharmlosen lassen zu wollen, sollte er genau hier einen Riegel vorschieben. Das ist unsere Meinung.

Wir halten das Isolieren des Holocaustes aus allen anderen historischen und soziologischen Geschehnissen und Zusammenhängen für nicht sinnvoll. Unser Ansatz verfolgt etwas ganz Anderes. Aus dem Trümmerhaufen, den uns die NS-Dikatur hinterlassen hat, sind ja überall ganz besonders gute Gedanken entstanden. Die Grundrechte, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Beobachtungen von Hannah Arendt ... Diese Verbindungen in die heutige Zeit zu transferieren ist kostbar und sollte keineswegs unterbunden, sondern im Gegenteil maximal belebt werden.

Die Ausgangsposition

Wie sieht der richtige Umgang mit der Kongresshalle aus? Als größtes noch bestehendes Relikt nationalsozialistischer Herrschaftsarchitektur unterliegt sie dem Denkmalschutz und stand doch lange leer ...

Die Neusortierung

Ein weltweites Zentrum für Menschen- und Völkerrechte. Ein angegliedertes Zentrum für Friedensforschung. Und an die Oper und die lokale Künstlerszene wird auch gedacht ...

Die bisherige Planung

Die Stadt Nürnberg scheint aktuell drei Nöte miteinander zu verknüpfen, damit sie sich gegenseitig zur Finanzierung verhelfen ...

Statements

Die Diskussion um die Planung

Die Geschichte um die Diskussion zur Planung auf dem Areal der Kongresshalle ist lang und desillusionierend. In vielen Jahren des Ringens um ein Ändern der Pläne haben die meisten Kontrahenten resigniert. Die Intensität, mit der das Projekt durchgesetzt wurde, war zu groß.  ... 

Die Quadratur des Kreises

Was die Stadt Nürnberg aktuell versucht, ist wie die Quadratur des Kreises. Es wird behauptet, dass eine künstlerisch-kulturelle Nutzung automatisch einen Gegenpol zur NS-Diktatur bildet und damit alles gut sei. Das allerdings erscheint uns wie ein sich immer wieder wiederholendes Mantra. Ein Zauberspruch, der nicht gelingen kann. ...

Die vorgespielte Ausweglosigkeit

Luftline keinen Kilometer von der Kongresshalle entfernt befindet sich ein sehr großes freies Gelände, das zeitgleich beplant wurde: Lichtenreuth. Da wäre Platz für Kunst und Kultur gewesen. Den Kulturschaffenden wird aber eine Ausweglosigkeit vorgespielt. ...

Ist das Kunstfreiheit, oder kann das weg?

"Man kann an diesem Ort alles spielen!" ruft HaJo Wagner laut hinaus, der Prof. Dr. ist und Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände. "Wie wäre es aber in der ersten Spielzeit mit Richard Wagners „Rienzi“ – der Lieblingsoper von Adolf Hitler, mit Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ – der Lieblingsoperette von Adolf Hitler, und mit ... 

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